Dialog Komet – Erde

von Carlo Michelstaedter

Erde: Da ist er ja wieder, der Vagabund!

Komet: –Erde: Vorsicht, Herrgott! Pass’ doch auf, wohin du gehst!
Komet: Besser nicht aufpassen wohin man geht, als nur soweit gehen, bis wohin man sieht.
Erde: Mag sein, aber… Nein Herrgott! Gib acht!
Komet: Besser nicht acht zu geben, als nur auf das warten, was niemals kommt.
Erde: Meine Güte! Ausgerechnet mir! Jetzt zerschlägts mich! Kanns noch Schlimmeres geben?!
Komet: Ja, die Planeten!
Erde: Halt mal, da wirst du in den Mars rammen – so was nennt man angehm zerstreut sein!
Komet: Besser zerstreut, als angezogen und zurückgezogen und verzogen.
Erde: Du jedenfalls wirst immer extravaganter und verworrener. Sag mal, wann wirst du aufhören den Vagabunden zu spielen?!
Komet: Wenn du aufhörst Schlange zu stehen.
Erde: Es wäre höchste Zeit, sich zu entscheiden. Und das sag ich zu deinem Wohl.
Komet: Mag sein, oder auch nur um friedlich schlafen zu können, – alte Heuchlerin! Du und Mars und Venus … und wieviele ihr noch sein mögt, die ihr euch eure Orbits zentimetergenau eingeteilt habt, um die Bahn bequem und sicher fahren zu können und euch in heiligen Frieden zu betten und den Hof zu machen…
Erde: Der Sonne, sicher…
Komet: Ja! Die Sonne. – Ihr macht alles im Namen der Sonne, sogar die Nacht!
Erde: Tag oder Nacht, ich tue meine Pflicht; wenn ich die Nacht mache, heisst es, dass ich solide bin, wenn ich eine geregelte Bahn habe, heisst es, dass ich nicht exzentrisch bin: was ich zu tun habe, weiss ich, Tag für Tag, Monat für Monat, Jahr für Jahr.
Komet: Was du weißt und machst wird doch nicht etwa nur deiner alten Haut zugutekommen? Wem dienen denn deine Runden?
Erde: Keine Ahnung wem sie dienen, ich tue meine Pflicht und mehr verlange ich nicht. – Du aber, sag mir doch mal, welchem Zweck dein exorbitantes Leben dient, mit dem du bloß das Leben der friedlichen und ehrlichen Bürger bedrohst und beleidigst – zu welchem Zweck führst du jenes Schwänzlein aus kleinen Vagabunden die du aufsammelst und hinter dir herziehst, wenn nicht, um dir einen Heiligenschein zu geben. Ha!
Komet: Wenn ichs nicht weiss – ich halte Kurs darauf es zu wissen – solange bis ichs weiss – aber niemals werde ich mich an einen konstituierten Stern lehnen und mich im Rechte wähnen, meine Pflicht zu nennen, ohne mein eigenes Licht im Lichte anderer zu leben. Während die, die du Vagabunden nennst, wirklich solche werden, oder schlimmer – von euch Bediente – solche – welche ihr seid. Ob jene, wie du sagst mir einen Heiligenschein geben, weiss ich nicht – und als solche können sie dir auch erscheinen, weil von mir angeleuchtet, – doch ich – da ich die da nicht kenne – suche also auch nicht diesen Heiligenschein, auch wenn es dir so scheinen mag, und weder, jetzt pass auf, ziehe ich darum diese an. Aber wieviele ich auch mit mir ziehen wollte, von meinem Licht ernähren, auf meiner geraden Bahn, die dir und den anderen reine Willkür scheint,  – die ihr euch auf der bequemen Bahn bewegt, das Licht anderer auf eure Trabanten reflektiert, damit diese wiederum in eurer Nacht das Licht der Sonne zurückwerfen – während ihr den Schatten hinter euch streut. Und …
Erde: Lamgsam! He! Herrgott, was machst du da? Neeeein!
Komet: Beruhige dich; ich berühr dich nicht – deine Stunde ist noch nicht gekommen! Auf bald!
Erde: Wenn es so ist, hör mal, da du keine bösen Absichten hegst … Komet!… du weißt dass ich dich gern habe … könntest du wohl – immerhin kostet’s dich ja auch nichts – …auf … begradige mir doch dieses Achse!
Komet: Da sind sie, die Bourgeoises! Alle gleich! Ihr würdet gerne aber könnt nicht – und wieso könnt ihr nicht –  das ist eure Pflicht! Aber wenn es dazu kommt, dann ist euch jede Hilfe recht, – oder die Monate? und die Jahre? und die Regel?
Erde: Das sind Worte, – das weißt du, und wenn ich eine Stütze gehabt hätte… von jung auf… dann hätte ich vielleicht auch… – Komm, tu mir diesen Gefallen!
Komet: Es ist spät – ich muss mein Leben fortsezten – du fahr nur fort deine Knochen an der Sonne zu wärmen, zusammen mit den anderen Kadavern. Leb wohl dochmia [altgr. „Schiefe“], leb wohl „Planet“.
Erde: Leb wohl!

Mai 1910

Übersetzung: Adrian Giacomelli.

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