Lassen wir das lieber. Es war auch mehr eine Floskel. Darum geht es gar nicht. Unsereins kennt keine Grenzen mehr. Sagen wir es doch einfach so. Radikal und salopp. Der bessere Einstieg für einen Text. Übertrieben. Mag sein. Herausfordernd. Aber wie sollte man sonst schreiben? Wie sonst, als mit dem Ehrgeiz einen Berg zu erklimmen, den noch niemand sonst zu besteigen gewagt hat? Das macht vielleicht die ganze Schwere allen Schreibens aus. Den Frust. Die Zweifel. Und die Qual. Und so weiter. Schließlich hat man keinen Diener, der für einen die Drecksarbeit erledigt. Da muss man schon alleine durch. Wie in den vielen Filmszenen, wo sich die starken Männer selbst die Kugel aus der Leiste herausschneiden. Ich würde behaupten, am Anfang eines jeden Schreibakts steht solch eine schmerzhafte Operation. Danach schmerzt es zwar noch, doch der Stachel ist fort. Der Fremdkörper entfernt und das Abenteuer kann beginnen.
Ich selber weiß nie, wo ich lande, wenn ich zu schreiben beginne. Ich wähle ein Allerweltswort, wie unsereins oder zweifellos und der Rest des Satzes steht da. Und will eine Antwort. Ich muss reagieren, denke ich und bin gequält. Wieso denn so was nun? Fällt ihm nichts besseres ein? Ein geschriebener Satz ist aber schon eine Art Gesetz. So dumm es klingt. Er ist die Kugel, die einen traf, während man noch den Kaffee kochte oder den Joint drehte. Der einzige Weg sie heraus zu operieren, ist beileibe nicht den Satz zu löschen. Man operiert, indem man noch mehr draufpackt. Die Grenzen, die Grenzen, die Grenzen. Es gibt sie überall — wenn man will. Daneben gibt es die grenzlose Perspektive. Totale und Close-up.
Wer nicht gern an sich herumdoktort, der sollte womöglich besser nicht schreiben. Wieso aber ist diese Operation so nötig? Geht es darum, wie ich vorher anspielte, sich loszumachen, loszulassen, den Dreck abzuwaschen? Wäre ich ein anderer, würde ich die gegenteilige Metapher heranziehen: am Anfang muss man sich etwas hinein operieren. Einimpfen. Leute, die so denken, sind schon lange nicht mehr beneidenswert. War es Nietzsche, der so über Goethes Optimismus schimpfte? Was sagte er noch? Optimismus eines Tuberkolosekranken. Nein, beneidenswert sind nur die paar wirklich seltenen Exemplare, denen das Schreiben so natürlich kommt, wie das Pissen oder Atmen. Aber auch mit denen würde ich vermutlich nicht tauschen wollen. Ich meine, wie fühlt sich das an? Diejenigen werden früher oder später, bei der ersten Bronchitis oder dem ersten Nierenstein ganz schön überrascht sein, tagelang mit dem Gesicht eines schmollenden Kindes herumlaufen und sich fragen, warum Mami so vergnügt mit dem andern Jungen spielt. Wer will schon mit 40 70 sein?
Es gibt also drei Typen. Der leichtfüßig Schreibende, der unter Qualen Schreibende und der luftig Schreibende. Beim ersten Typ sehe ich eigentlich eher ein fröhliches Mädchen vor mir. Ein Hauch von Naivität lastet auf jenen. Oder wenn es nicht Naivität ist, dann zumindest so etwas wie Einäugigkeit. Der luftige Typ steht über den Dingen. Ganz und gar. Das wirkt beeindruckend, aber ist ganz schön kurzsichtig in ihrer Weitsicht. Das sind eher neurotische Typen, die sich permanent die Finger desinfizieren. Was ist nun mit dem Gequälten und Gefolterten? Ist er ein Masochist? Zweifellos. Ein Idealist aber auch. Wer Ideale hat, der hat ständig Durchfall. Aufgrund seines nervösen Magens. Es gibt keinen Winkel der Welt und der Menschheit und des Geistes, der sich seinen Idealen geschmeidig fügen würde. In seiner Phantasie wähnt er sich, Cicero zu sein. Das ist die Kugel, die er entfernen muss. Denn was er vorhat, ist kein Lorem ipsum dolor sit amet. Hin und wieder entzündet sich die Wunde nach der Operation. Damit muss man dann leben, wenn man keine medizinische Ausbildung genossen hat. Man bleibt eben ein Dilettant, solange man schreibt.