Wie ich nicht schreiben kann
Wie ich nicht schreiben kann
Eine Analyse
Ich muss jemanden finden, der für mich schreibt.
Soll ich eine Anzeige aufgeben? Einen Aushang im Supermarkt machen?
Wie findet man jemanden, der einem die Schreibarbeit abnimmt? Ich weiß ja nicht einmal, was er für mich schreiben soll. Nur, dass ich einen finden will, der das für mich erledigt.
Die Gründe, die ich immer wieder wie ein Mantra vor mir hersage, sind mehrere. Zum Beispiel: ich habe keinen festen Schreibtisch, keinen Ort. Durch diverse Umstände, will sie jetzt nicht aufzählen, tun auch nichts zur Sache, bin ich gezwungen immer unterwegs zu schreiben. Ich meine, selbst wenn ich irgendwo sitze, bin ich unterwegs. Das klingt aufregend. Ich versuche mir das auch einzureden.
Ein weiterer Grund ist das Schreibwerkzeug. Man hat davon im Überfluss. Mittlerweile. Und jedes Werkzeug für sich ist faszinierend und inspirierend. Ich meine mit der Handschrift schreiben ist nicht einfach Werkzeug “A” und mit einem Computer ist nicht “B”. Darüberhinaus gibt es noch weitere, sicher. Aber bleiben wir erstmal dabei – A und B.
Welches Papier hat man, welche Farbe, welches Format, welche Stärke? Und welche Sorte Stift? Tinte? Oho! Kugelschreiber, Filzstift, Bleistift, Fineliner, Druckbleistift: jeder Stift evoziert ein anderes Denken. Einen anderen Spin. Dasselbe gilt fürs Papier. Von alten Uni-Professoren, die den Krieg und die Papierknappheit noch erlebt haben, habe ich mir abgeguckt auf Briefumschläge zu schreiben. Ich bewahre immer ein paar auf. In der Mitte getrennt ergeben die länglichen B6-Umschläge einen perfekten Einkaufszettel. Hingegen so ein ganzer Umschlag genug Weißfläche bietet, um schon eine Mini-Erzählung darauf zu kritzeln. Oder nur eine Kombination an Einfällen. Am Ende nichts als eine durchaus mit der Möglichkeit des Über-Sich-Hinauswachsens gesegnete Initiative.
Im gleichen Format und ebenfalls massig hier herumfliegend sind Aktentrennstreifen. Ihre Robustheit färbt auf den Geist ab. Hier kann man sich keiner Blödelei hingeben, wie auf einem Briefumschlag. Das ganze ist schon etwas seriöser und führt daher oft dazu, dass ein Streifen nicht ausreicht. Es ufert gerne aus, gelinde gesagt. In Wahrheit müsste man direkt zum Notizheft übergehen, weil die Reichweite es so verlangt. Das aber hieße, dass das schon Geschriebene erst übertragen werde müsste – und futsch ist der Fluss. Daher habe ich in letzter Zeit auch immer weniger auf Trennstreifen geschrieben. Denn es gibt nichts Tödlicheres fürs Schreiben, als währenddessen darüber nachzudenken, wie und auf welche Unterlage man (weiter)schreibt.
A4-Format ist das allerunsäglichste Papierformat für handschriftliche Ergüsse überhaupt (Superlativ toppen ist hier angebracht). Da ist soviel erdrückender Weißraum, dass kein Fluss entstehen kann. Ich habe schnell die 5er Formate für mich entdeckt, variieren ja auch von Land zu Land ein wenig. Das Erste was ich mit einem A4-Blatt mache, ist es auf A5-Format zu falten. Es gibt einen Grund, warum viele käufliche Notizbücher leicht gelbliches Papier haben. Noch lieber aber sind mir rosa oder blaue oder hellgrüne Papiere. Die weit verbreitete Schreibkrankheit namens “Angst vorm weißen Blatt” ist durch farbiges Papier vom Tisch gefegt.
Außer Kästchen sind alle Lineaturen erlaubt. Sogar Notenblätter können eine heitere Seite des eigenen Schreibens aufdecken. (Freilich sind die Blanko-Seiten die ergiebigsten)
Schreibwarenläden sind die Tempel eines jeden Schreibers, ça va sans dire. Immer wenn ich vor diesen Blöcken stehe, auf denen man die Stifte ausprobieren kann, frage ich mich, ob sich hinter einer dieser Wellenlinien vielleicht auch ein Schriftsteller verbirgt. Denn ihm genügt ein winziger Strich, um Bescheid zu wissen, er muss nicht erst „ich war hier“ schreiben, um die Qualität eines Stiftes messen zu können. Abgesehen einmal davon, dass ein Schriftsteller ja gerade jemand ist, der mit Worten spart. Gerade weil es sein Beruf ist.
Und obwohl sich Zirkel, Stundenpläne und psychedelische Einhornmäppchen nicht zum eigenen Gebrauch eignen, spielen diese Peripherieartikel eine nicht zu unterschätzende Rolle. Nicht nur tragen sie zu einer fröhlichen Atmosphäre bei, wie man sie gerade beim Schreiben vermisst, nein, sie werden zu Allegorien des Schreibens: der Zirkel und die Lineale mahnen einen an die Einhaltung von Regeln und Struktur. Bei aller Liebe zum Experimentieren erinnern sie daran, dass jedes Schriftstück seine eigene Form finden muss, um vollkommen zu sein. Die Regalwand mit den Aktenordnern lässt die altbekannte Sehnsucht nach einer besseren Ordnung des heimischen Schriftverkehrs wieder aufkommen. Die Bewerbungsmappen schreien einen geradezu ins Gesicht, die ganze Bürokratie des Verlegens zieht ihre Fratzen dahinter, das schleichende Getriebe des Manuskriptelesens, die Hornbrillen der Lektoren und der riesige bunte Ohrenschmuck der Lektorinnen, der ganze Wahn und Hohn, der schließlich in der ISBN-Nummer kulminiert.
Wer noch immer in jedem x-beliebigen Schreibwarenladen einen Stift für sich finden kann, der hat seine Handschrift nicht gefunden.
In dem ganzen Meer der weltweiten Stifteproduktion gibt es genau einen, der am besten zur eigenen Handschrift passt, ach was, nur genau einen, der die Handschrift in Rage bringen kann.
Und was ist über B zu sagen? Dieselbe Verstiegenheit und Detailliebe muss man mit elektronischen Geräten an den Tag legen. Auch hier gilt: es gibt genau ein Programm, das den fruchtbarsten boden für das eigene Schreiben bietet. Anders als beim Papier fördern diese digitalen Konkurrenten nur mittelmäßiges, aber nicht exzentrisches Schreiben hier, verspieltes da, verkopftes woanders… Man wird sich dank dieser Erkenntnis bewusst, dass nur die Hand mit dem Hirn verbunden ist, ein Computer hingegen nie. Die Handbewegungen eines Stiftes auf Papier sind der unmittelbarste Ausdruck, den wir von unseren eigenen Gedanken erhaschen können. Und je widerstandsloser wir diese Route ausschmücken, desto klarer wird es. Es muss sich anfühlen können, als würde die Hand nicht nur Schreiben, sondern auch denken. Es gibt einen Zen-Status des Schreibens, das ist wenn man der Hand beim Schreiben zuschaut und die Show genießt.